Ansprache des Alterspräsidenten Dr. Dr. Jozef Rakicky
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Verehrte Gäste!
Ich habe heute hier die besondere Ehre, als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des neu gewählten Landtages zu eröffnen und das auch noch als neugewähltes Mitglied des Landtages. Zuerst war ich überrascht über das Angebot dieses Amtes. Insbesondere, dass der Alterspräsident tatsächlich der älteste Abgeordnete im Landtag ist. Ich dachte eigentlich, so alt bin ich noch nicht.
Für mich steht aber fest, Sie werden in dieser Wahlperiode einen ziemlich jungen Alterspräsidenten haben.
Alt genug bin ich aber, um diesen Tag und diese Sitzung als etwas ganz Besonderes zu empfinden. Ich bin, wie Sie unschwer an meiner Sprache erkennen können, nicht in Deutschland geboren.
Geboren und aufgewachsen bin ich in der kommunistischen Tschechoslowakei. Es war damals ein Land, wo Demokratie nur auf dem Papier existierte, die Presse sklavisch und gleichgeschaltet, ein Land, in dem die Kinder von klein auf in der Schule politisch indoktriniert wurden und… ein Land, wo Kritiker der herrschenden Doktrin und Andersdenkende von dem Staatsschutz beobachtet oder sogar inhaftiert, von der Presse diffamiert, und zum Feind der Gesellschaft erklärt wurden.
Ich weiß also, was es heißt, in einem unfreien Land ohne Demokratie zu leben. Ich kenne Unfreiheit und Unterdrückung. Es war dieses Gefühl der Unfreiheit, das mich Jahre vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes dazu brachte, nach Freiheit zu suchen. Ich fand sie in Deutschland. Ich fand sie in Niedersachsen. Und nun darf ich mich ab heute sogar als Abgeordneter für die Freiheit einsetzen.
Das ist für mich, ich bitte um Verständnis, ein sehr besonderer Augenblick.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste!
Die Freiheit der Bürger ist unser aller Auftrag. Auch und gerade in Zeiten, in denen sich Meinungen unversöhnlich gegenüberstehen, in denen sich nicht mehr zugehört wird, in denen ganze Gruppen pauschal abgewertet werden!
Gesellschaftlicher Zusammenhalt, gesellschaftlicher Friede, erwächst nicht dadurch, dass nur eine Meinung als die richtige gilt, und alle anderen diffamiert und ausgegrenzt werden.
Gesellschaftlicher Friede entsteht durch Dialog. Er entsteht durch die Wertschätzung des Anderen, auch wenn man seine Meinung nicht teilt. Der Kern der Demokratie ist das Recht des Anderen, seine eigene Meinung zu äußern und dass ich bereit bin, für die Freiheit des Anderen einzutreten.
Nicht weil ich seine Meinung teile, sondern, weil ich Demokrat bin und weil ohne die Meinung des Anderen nun einmal keine Demokratie existiert.
Der Landtag ist ein Ort, an dem diskutiert, beratschlagt, sich ausgetauscht wird und Entscheidungen getroffen werden. Dabei ist es unabdingbar, dass alle Ansichten gehört werden.
Demokratie lebt von Meinungsvielfalt und Freiheit. Sie ist Teil der freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Demokratie ist die Herrschaft des Volkes. Und das Volk hat nun einmal viele Meinungen. Demokratie ist daher ein System, das sicherstellt, dass die Minderheitsmeinung immer auch zur Mehrheitsmeinung werden kann.
Im Vorfeld dieser Sitzung waren von Vertretern anderer Fraktionen bereits, lassen Sie es mich nicht so hart ausdrücken, Ausgrenzungsaussagen getätigt worden. Ich glaube, das tut diesem Haus nicht gut. Es tut der Demokratie nicht gut. Wir alle stehen für Einigkeit und Recht und Freiheit und müssen dafür eintreten, dass es so bleibt.
Wenn wir uns darüber einig sind,… ist schon viel gewonnen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
unsere konstituierende Sitzung findet auch unter besonders bewegenden und gefährlichen nationalen und internationalen Rahmenbedingungen statt. Wir alle wollen für unser Land, unsere Familien und uns alle ein friedliches Leben.
Erlauben Sie mir daher aus diesem aktuellen Anlass zum Abschluss meiner Ansprache einen meiner Vorgänger, den ehrwürdigen Alterspräsidenten dieses Parlaments Klaus-Peter Bruns zu zitieren. Herr Alterspräsident Bruns war in diesem Parlament der letzte Zeitzeuge der zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert und er richtete am 9. Juli 1986 an den neugewählten Landtag folgende Worte:
Zitat:
„Die Jüngeren von Ihnen werden fragen, wie es zu 1933 und 1939 kommen konnte und was das für Menschen waren?”
Ich danke Ihnen.